„Demut“ – nur ein Relikt aus vergangener Zeit? (Predigt 9. So. i. J. 2016)

P1090986Meine Lieben,

DEMUT ist heute nicht mehr wirklich gefragt. Von klein auf wird schon den Kindern beigebracht: „Du musst dich durchsetzen! Du darfst dir nichts gefallen lassen!“ Und die Arbeitswelt – quer durch alle Branchen – zeigt uns eben­so, was aus solchen Parolen wird, wie die riesige Zahl von Familien- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, mit denen sich heutzutage die Gerichte auseinandersetzen müssen. „Du musst dich durchsetzen! Du darfst dir nichts gefallen lassen!“ Das alleine zählt offenbar heute.

Das Wort „Demut“ erscheint hier nur noch wie ein albernes Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Vielleicht ist gerade deshalb das Beispiel des Hauptmanns von Kafarnaum heute wichtiger denn je: Er hatte es in der gesellschaftlichen Ordnung seiner Zeit ja zu etwas gebracht. Und er konnte sich wohl auch durchsetzen, wenn es darum ging, in der militärischen Hierarchie aufzusteigen. Er war jemand – und hat für dieses Ziel sicherlich auch gelegentlich seine Ellbogen einzusetzen gewusst.

Aber dann gerät er an eine existentielle Grenze, die ihn umdenken lässt. Plötzlich erfährt er bei aller Macht und Stärke auch seine eigene Ohnmacht, seine tiefe Hilflosigkeit. Sein lieber Diener, der ihm viel bedeutet, ringt mit dem Tod. Bei aller Macht, die dem Hauptmann gegeben ist, erfährt er hier doch seine absolute Machtlosigkeit. Und so macht er, der Große und Einflussreiche, eine tiefe menschliche und geistliche Erfahrung. Ehrlichen Herzens gesteht er sich seine Grenzen ein. Er sagt nur noch:

„…ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst… Sprich nur ein Wort…“

Aus diesen Worten spricht seine ganze Hilflosigkeit, seine Sehnsucht, nach einem, dem er jetzt noch vertrauen kann. Aber weil er plötzlich in aller Ohnmacht so unendlich vertrauen kann, macht er auch eine befreiende Erfahrung: Ich muss mir nicht einreden, alles selber tun und können zu müssen. Ich muss nicht perfekt sein. Ich darf auch meine Grenzen, meine Unfähigkeiten, mein Versagen annehmen, weil es zu mir gehört. Indem er, der Hauptmann, der Große, plötzlich die Größe hat, sich selber klein zu machen und einen anderen ehrlichen Herzens zu bitten, erfährt er eine ungeheure Entlastung.

Ein  Stück weit kann ich das immer wieder nachempfinden. Es gibt ja Tage, an denen Frage wohl nicht nur ich mich: „Warum hast du dich darauf auch noch eingelassen? Du hast doch mehr als genug anderes zu tun! Wie soll das gehen…“ Solche Momente kennen wohl viele hier, wenn ich in die Runde schaue.

Aber es gibt gerade dann auch immer wieder die umgekehrte Erfahrung. Es gibt Menschen, die mich spüren lassen: „Du bist doch nicht allein! Zusammen schaffen wir das!“ – In den kostbaren Momenten der Stille und des Gebetes ist es Gott selber, der mich diese befreiende Entlastung spüren lässt. Das ist dann die Erfahrung des Hauptmanns von Kafarnaum: „Du musst das nicht aus eigener Kraft meistern, denn vielleicht kannst du das gar nicht. Du darfst bitten und ein anderer wird dir helfen…“

Daher ist mir auch bei jeder Trauung der kleine Satz so wichtig, den ich den Brautleuten nach ihrem Ja-Wort mit auf den Weg gebe: „Gott selber will das Gute vollenden, das ihr beiden heute hier begonnen habt.“ ER will mit Euch schaffen, was Menschen alleine oft nicht schaffen können.

Meine Lieben,

hier spüre ich, wie entlastend eine gesunde Portion Demut sein kann. „Herr, ich bin ich würdig…“ – Es geht nicht um mich. Ich bin nicht der Nabel der Welt und das ist auch ganz gut so…

Je mehr es mir gelingt – gleich dem Hauptmann von Kafarnaum – so zu denken und auch so zu beten, desto mehr darf ich eine großartige und entlastende Erfahrung machen: Ich muss nicht alles selber machen und schaffen. Ich kann auch von Gott nicht einfach etwas fordern, aber im demütigen Vertrauen darf ich von ihm alles erhoffen!

Amen.

(Foto: Limmer)

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