Franziskus, Prophet Europas – Predigt zum 7. Sonntag der Osterzeit

_DSC0226Meine Lieben,

„Alle sollen eins sein… damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“ – Dieser Herzenswunsch Jesu ist ein zeitlos wichtiger Apell. Er gilt der christlichen Kirche, die vielfach gespalten und zerrissen ist. Aber hier gibt es wenigsten viele hoffnungsvolle Ansätze für ein neues Miteinander. Erst am Donnerstagnachmittag hat eine Delegation evangelischer Pastoren und Gemeindemitglieder aus Ungarn und Trostberg die Feichtener Marienwallfahrt besucht; eine Kirche, die in dem Umwälzungen am Vorabend der Reformation gebaut und fünf Monate nach Luthers Thesenanschlag geweiht wurde. Die Kirchen versuchen immer wieder händeringend, neue Wege der Einheit zu finden. Andere sind von solchen Anstrengungen leider meilenweit entfernt.

„Alle sollen eins sein… damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“

Wenn ich diesen Wunsch Jesu auf unseren Kontinent Europa und seinen Platz in der Welt hin verstehe, macht mich traurig, was ich derzeit erlebe. Papst Franziskus hat es am Freitag bei der Verleihung des Aachener Karlspreises in einer hochpolitischen Rede unüberbietbar klar formuliert, wo in Europa diese Einheit der Liebe fehlt. Hören wir auf Franziskus‘ Worte:

„…Mit dem Verstand und mit dem Herz, mit Hoffnung und ohne leere Nostalgien, als Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat, träume ich von einem neuen europäischen Humanismus: »Es bedarf eines ständigen Weges der Humanisierung«, und dazu braucht es »Gedächtnis, Mut und eine gesunde menschliche Zukunftsvision«[10]. Ich träume von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet. Ich träume von einem Europa, das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet. Ich träume von einem Europa, das die Kranken und die alten Menschen anhört und ihnen Wertschätzung entgegenbringt, auf dass sie nicht zu unproduktiven Abfallsgegenständen herabgesetzt werden. Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist, sondern vielmehr eine Einladung zu einem größeren Einsatz mit der Würde der ganzen menschlichen Person. Ich träume von einem Europa, wo die jungen Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen, wo sie die Schönheit der Kultur und eines einfachen Lebens lieben, die nicht von den endlosen Bedürfnissen des Konsumismus beschmutzt ist; wo das Heiraten und der Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen Arbeit fehlt. Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet. Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen. Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand.“

Meine Lieben,

es ist der Traum Jesu für diese Welt, den Papst Franziskus in seiner ganzen großen Rede (die über die Homepage unseres Pfarrverbandes im Download verfügbar ist) auf unseren Kontinent Europa hin ausdeutet. In Zeiten, in den Zinspolitik oft einen höheren Rang zu haben scheint, als die Sozial- und Entwicklungspolitik, in Zeiten, in denen sich auch etablierte Parteien viel zu bereitwillig mühen, Stammtischparolen politisch hoffähig zu machen, in Zeiten, in denen radikale Kräfte die Idee der europäischen Einigung an der Wurzel vernichten wollen, in Zeiten, denen Europa sich nur als Wirtschafts- und Profitgemeinschaft betrachtet und die ethische und kulturelle Basis zu vergessen droht, in diesen Zeiten braucht es Dich und mich, braucht es engagierte Christinnen und Christen, die nicht müde werde, den Traum Jesu einzufordern und zu leben – gerade in Europa, das ja einst noch christlich war:

„Alle sollen eins sein… damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast in ihnen ist und damit ich in ihnen bin.“

Amen.

(Text: Witti/Foto: Limmer)

 

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