ERNTEDANKPREDIGT – Wegen Coronaerkrankung nun hier veröffentlicht

Meine Lieben,

es ist ein durchaus schwieriges Fest, das wir heute feiern. Wenn ich mich heute mit einem Mikrofon auf die Straße stellen würde, mit Fragen, wie „Was ärgert Sie derzeit?“, „Worüber regen Sie sich auf?“ oder gar „Was macht Ihnen Angst mit Blick auf die Zukunft?“, dann gäbe es bestimmt rasch viele leidenschaftliche Antworten.

Das heutige Erntedankfest fragt aber genau entgegengesetzt:

„Wofür bist Du denn heute dankbar?“

Diese Frage hat es in sich, wenn wir erleben, dass in der Ukraine – also in Europa – immer noch Krieg herrscht und die Situation immer verworrener und unberechenbarer erscheint. Die wirtschaftlichen Folgen spüren wir nicht nur an der Tankstelle. Sorgenvoll schauen viele auf die kommenden Monate. Energiesparen ist ein Thema, wie lange nicht mehr.

Aber auch für die Landwirte und für viele Garten- und Waldbesitzer war das ein schwieriges Jahr. Monatelang brachte ein heißer Sommer ungewohnte Trockenheit. Und im September wurde es dann plötzlich schon ungewohnt kalt, was die Ernte der letzten Früchte nicht einfacher machte.

Auch der aktuelle Blick auf unsere Kirche lässt viele nicht gerade Dankeshymnen anstimmen. Krisenstimmung macht sich immer noch breit. Die vielen Hoffnungen auf spürbare Erneuerung und echte Reformen engagierter Katholiken kamen bei der letzten Versammlung des Synodalen Weges gehörig ins Wanken. Eine Minderheit der Bischöfe hatte gleich den ersten Synodentext zu einer erneuerten Sexualmoral gekippt. Enttäuschte Bilder machten die Runde. Die weiteren Beschlüsse gingen dann zwar durch, aber vielen fehlt längst der Glaube an einen neuen Aufbruch hinein ins Leben der Menschen.

Der Blick auf die tatsächliche und ideelle Ernte dieses Jahres fällt so auch für mich nicht ungetrübt aus. Natürlich weiß ich auch, dass sich Ängste oder Enttäuschungen bei mir meist viel tiefer ins Gedächtnis eingraben als manch kleine Freuden und positiven Erlebnisse. Es geht wohl vielen von Euch ähnlich…

Negatives geht mir oft lange nach, positives verblasst hingegen allzu schnell.

Aber vielleicht ist gerade deshalb das heutige Erntedankfest so wichtig für mich – für uns alle…

Inmitten aller großen Fragen und Dramen, inmitten mancher Sorgen und Ängste will es mir all das zeigen, was dennoch zur „Ernte“ dieses Jahres gehört und wofür ich trotz so vielem anderen dankbar sein kann.

Schon der Blick hier auf den Erntealtar macht es mir ja deutlich: Auch wenn es für die Felder, Gärten und Wälder kein ideales Jahr war, mit all der Hitze und Trockenheit und nun dem frühen Kälteeinbruch, wir haben trotzdem alles, was wir zum Leben brauchen.

Auch wenn bei steigenden Preisen viele über Einschränkungen nachdenken und manche auch existentielle Sorgen haben: Wir werden hier nicht von Sirenengeheul und Bomben aus dem Schlaf gerissen. Wir müssen nicht fürchten, gewaltsam Hab und Gut und Heimat zu verlieren.

Auch wenn mich vieles in unserer Kirche den Kopf schütteln lässt, ich erlebe hier Woche für Woche viele Menschen, die mitten im Leben hoffnungsvoll glauben, die füreinander da sind, die Geschwisterlichkeit erfahrbar machen.

All das sind keine billigen Vertröstungen. All das gehört in Zeiten, die nicht immer einfach sind, zur diesjährigen Ernte meines Lebens. Und dafür bin ich ehrlich dankbar.

 

Meine Lieben,

diese ganz persönliche Ernte, all die kleinen – und vielleicht auch größeren – Dinge, für die ich dankbar bin, sie geben mir Hoffnung. Sie lassen mich – gemeinsam mit euch allen – nach vorne schauen. Ja, sie schenken mir neuen Glauben, Glauben ans Leben, Glauben an einen Gott, der trotz allem mitten in dieser Welt lebendig und nahe ist.

Wenn ich zurückschaue, war dieser Glauben bei mir wohl manchmal auch nicht größer als das winzige Senfkorn im Gleichnis Jesu.

So zeigt mir dieses Gleichnis, das heuer eher zufällig am Erntedanksonntag gelesen wird, wie aus so vielen kleinen positiven Dingen im Leben, die ich selber vor lauter Stress und Hektik, Sorgen oder Ängsten, oft fast übersehe, trotzdem immer wieder großes Vertrauen wachsen kann.

Ich wünsche es euch, dass auch ihr so im Blick auf viele kleine Dinge dankbar die letztlich reiche Ernte eures Lebens entdecken könnt.

Eine Betrachtung zum heutigen Evangelium hilft mir dabei.

Darin heißt es:

klein

wie ein Senfkorn

mein Glaube

mein Vertrauen

meine Hoffnung

meine Liebesbereitschaft

 

wenn ich aufschaue

zu allem Großen

dem Maulbeerbaum

den „Machthaber“

in Politik und Wirtschaft

in Kirche und Gesellschaft

 

was kann ich da schon ausrichten

 

ja

was kann ich schon ausrichten

gegen „die da oben“

gegen die

die scheinbar alles wissen

gegen die

die ihre Machtspielchen treiben

 

klein wie ein Senfkorn

bin ich

 

doch du Jesus

sprichst davon

dass ich mit dem kleinen Glauben

eines Senfkorns

den starken Maulbeerbaum

entwurzelt kann

 

dass ich mit diesem kleinen Glauben

etwas „in Bewegung“

setzen kann

 

so will ich mich verwurzeln

in deine Zusage

und dir vertrauen

 

dass

aus meinem Kleinglauben

meiner kleinen Flamme des Vertrauens

meinem Minifunken der Hoffnung

meinen kleinen Liebesbeweisen

 

ein Baum wird

der reiche Früchte trägt1

 

Amen.

 

 

 

 

1Beatrix Senft, 2022; auf: predigtforum.com

 

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