„Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt“ – Predigt zum Dreifaltigkeitsfest (M. Witti)

OLYMPUS DIGITAL CAMERALiebe Schwestern und Brüder,

„Wie viele Wege zu Gott gibt es?“ – So wurde Joseph Kardinal Ratzinger – der spätere Papst Benedikt XVI. – einmal in einem Interview gefragt, als er noch Präfekt der römischen Glaubenskongregation war. Er hat dem Journalisten lächelnd geantwortet: „Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“

Diese offene Antwort hätten viele vom gestrengen Dogmatiker und obersten Glaubenswächter nicht erwartet. Aber sie zeigen eine tiefe spirituelle Wahrheit, die für mich auch am heutigen Dreifaltigkeitsfest durchscheint: Gott offenbart sich immer wieder und auf ganz verschiedene Weise. Er sucht ganz individuelle Wege zu den Menschen – auch heute noch.

Viele spüren Gott auch heute noch im faszinierten Staunen über wie Wunder der Natur. Gerade uns hier muss Gott ja diesbezüglich besonders lieb haben, weil er uns dieses wunderschöne Stück Heimat geschenkt hat, nahe am Chiemsee und an den Bergen. Wer hier noch Staunen kann, für den wird vieles andere klein und unwichtig, weil er eine Ahnung von Gottes Größe und seiner Liebe zur ganzen Schöpfung und zu uns Menschen erhält.

Ich kenne aber auch Naturwissenschaftler, die in ihrer Arbeit die Wunder der Natur entdecken und die mit jeder neuen Entdeckung auch in ihrem Glauben an einen guten Schöpfergott bestärkt werden.

Ich denke aber auch an manche Mutter, die unter Schwierigkeiten und Schmerzen, oft genug auch voller Angst, ein Kind geboren hat. In dem Moment aber in dem sie ihr Kind in den Armen halten kann, ist alles vergessen, weil sie spürt, es muss ein guter Gott sein, der ihr so ein Wunder anvertraut hat – und viele Väter erfahren das ähnlich staunend und gottvoll.

Viele, die zwar nicht zu unseren christlichen Kirchen gehören, sind deshalb aber oft nicht weniger intensiv auf der Suche nach dem Göttlichen, auch wenn sie selbst es vielleicht nicht so nennen. Ob in östlicher Meditation, beim Yoga, oder auf anderen Wegen, auch sie machen in ihrem Leben – bewusst oder unbewusst – wohl ähnliche Erfahrungen, die wir Christen Spuren Gottes nennen würden.

 

Meine Lieben,

„Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“ – Das heutige Dreifaltigkeitsfest zeigt mir, dass Gott kein einsames überhöhtes Wesen, sondern liebevolle Gemeinschaft ist. Es zeigt mir, dass der geheimnisvolle und letztlich unbegreifbare und undefinierbare Gott sich immer schon ganz unterschiedlich den Menschen geoffenbart hat: als Schöpfer- und Vatergott, als in Jesus Christus Mensch gewordene Liebe, als wirkmächtiger und unberechenbare Geistfülle zu allen Zeiten.

Wenn ich wirklich an diesen Gott glaube, dann muss ich ihn auch in der Offenheit verkünden, die Gott selber mir vorlebt. Ich kann dabei – wenn ich Gottes Geheimnis nicht leugnen will – nie behaupten, die volle Wahrheit für mich gepachtet zu haben. Ich darf daher anderen meinen Glauben an diesen Gott nicht wie den sprichwörtlichen nassen Waschlappen um die Ohren schlagen, oder ihn nach dem Motto „Vogel friss oder stirb“ anderen aufzwingen.

Wenn wir als Christen so zu den Menschen gehen würden, wären wir nicht nur unglaubwürdig, sondern letztlich auch selber ungläubig, weil wir das Geheimnis des dreieinen vielfältig sich offenbarenden Gottes durch unsere Engstirnigkeit leugnen würden.

„Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“ – Das heißt für mich, dass ich nicht leere Glaubensformeln wiederkäuere, sondern dass ich einfach und lebendig von meinen ganz persönlichen Glaubenserfahrungen mit diesem Gott erzähle. Zugleich aber zeigt es mir auch, dass ich viel Feingefühl und großen Respekt brauche, vor all den ganz anderen geistlichen Lebenserfahrungen der anderen Menschen, auch wenn sie mir selber noch so fremd und seltsam erscheinen mögen.

Wenn mir das gelingt, wenn ich so in einen respekt- und liebevollen Glaubensdialog mit den Menschen von heute treten kann, dann mache ich das Geheimnis des dreieinen Gottes ein Stück weit in der Welt spürbar. Dann versuche auch ich bei aller personalen Verschiedenheit die liebevolle Einheit zu leben, die uns Gott selbst als innerstes Geheimnis seiner Existenz heute zeigt.

„Es gibt so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt.“

Amen.

(Foto: pfarrbriefservice.de)

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