Jesus und die Sünderin, eine Schicksalsgemeinschaft (Predigt 5. Fastensonntag)

116_0867Meine Lieben,

der Fall war glasklar, der Tatbestand selten eindeutig. Auch wenn es hart erscheinen mag, das Gesetz verlangt es so: Eheleute, die des Ehebruchs überführt werden, sind mit dem Tod zu bestrafen. Das Böse soll ausgemerzt werden. Für ganz jun­ge Frauen gilt dabei ausdrücklich die Strafe der Steinigung, ein Akt, menschenverachtender Brutalität. Doch die „Jungen“ sind so zu bestrafen, junge Frauen, die sich als bereits Verlobte „verführen“ lassen und sich „nicht ausreichend zur Wehr setzen“. Das Mäd­chen ist wohl 14 oder 16 Jahre alt. Allein, schutzlos steht sie vor den Anklägern. Sie wird allein einer Sache beschuldigt, an der man alleine gar nicht schuldig werden kann. Vom Mann, der zwangsläufig doch auch beteiligt gewesen sein musste, spricht niemand. Leichte Beute ist die junge Frau in ihrer grenzenlosen Angst. Und doch ist sie heute nur ein Mittel zum Zweck. Sie ist nur ein x-be­lie­bi­ger „Fall“, ein Bauernopfer, mit dem man an einen ganz anderen herankommen will.

„Nun, was sagst du?“ – So wird Jesus mitten im Tumult ganz pro­vokant von denen gefragt, bei denen seine Meinung sonst nicht zählte.– Diese kleine Frage reicht um zu zei­gen, worum es eigentlich ging: Egal, was Jesus hierauf auch antworten würde, er würde sich selbst in Schuld verstricken, denn schließlich gilt: „Wir haben ein Gesetz!“ – Zustimmen kann er der keifenden Menge nicht, denn sonst würde er seine eigene Lehre vom barmherzigen Gott der Lächerlichkeit preisgeben. Zustimmen kann er auch juristisch nicht, weil ja eigentlich nur die römische Staats­macht Todesurteile fällen und vollstrecken darf, so dass das Ganze ohnehin von da her illegal wäre. Sagt er aber ein klares „Nein!“ zur geforderten Steinigung, dann widerspricht er dem Gesetz des Mose, dann Missachtet er die Autorität Gottes, dann ist er endlich als Gotteslästerer überführt. Auch dafür gibt es nur eine Strafe: den Tod.

Jesus und die Ehebrecherin, – das ist keine Begegnung der Sünderin mit dem erhabenen Meister; das ist so gesehen vielmehr die Schicksalsgemeinschaft zweier, denen jeweils blinder Hass den Tod wünscht.

Jesus begreift wohl schnell, was hier gespielt wird. Er lässt sich aber nicht vom äußeren Tumult bestimmen. Er unterbricht die tödliche Dynamik und lässt die Ankläger einfach stehen. Er hockt sich hin und schreibt in den Staub. Es scheint, als wolle er allen ein wenig Zeit geben, um das angeblich Unausweichliche neu zu betrachten. Er lässt sich und den an­deren Zeit. – Erst dann greift er ein. Erst dann sagt er etwas, das eine ganz neue Perspektive auftut: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie!“ Jesus spricht nicht über die Verurteilte, er spricht jeden der Umstehenden direkt an. Alle Beteiligten werden aus ihren festen Rollen herausgerissen. Es gibt nicht mehr Ankläger und Angeklagte. Plötzlich stehen alle auf einer Ebene; plötzlich kann Begegnung geschehen von Angesicht zu Angesicht – jenseits von Sitte und Recht, von Schuld und Strafe, von Fall und Urteil. Durch Jesu Wort „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie!“ erhalten alle die Chance neu als Mensch unter Menschen, Sünder unter Sündern, einander zu sehen, menschlich, erbarmend, verzeihend miteinander umzugehen.

 

Meine Lieben,

„Nun, was sagst du?“ –Diese Frage gilt am heutigen 5. Fastensonntag, dem „Misereor-Sonntag“, uns allen, Dir wie mir. Elend, Angst, Schuld, für die nur wenige zur Verantwortung gezogen werden, Hartherzigkeit, die sich auf unumstößliche Ordnungen berufen kann, – alles das gibt es auch heute. Die unumstößlichen Gesetze des globalen Marktes, die festegefügten Regeln internationaler Kapitalströme und politischer Winkelzüge si­chern unseren Wohlstand, bringen Deutschland recht gut auch durch die Wirtschaftskrise. Zugleich aber schaffen diese Gesetzmäßigkeiten, die unseren Wohlstand sichern, die uns billige Rohstoffe und Nahrungsmittel zu jeder Jahreszeit liefern, unsägliches Elend. Sie vernichten viele Existenzgrundlagen in jenen Ländern, aus denen wir Rohstoffe, Nahrungs- und Genussmittel beziehen, wo aber nur wenige fast alles und die Mehrheit fast nichts besitzt. Wir kaufen Kaffee lächelnd im Sonderangebot von multinationalen Konzernen, doch der, der ihn produziert, kann die Seinen kaum ernähren. Kinder sind auf der Straße auf sich selbst gestellt, sobald sie laufen können. Ihr Weg ist vorgezeichnet, denn neben gesunder Ernährung und medizinischer Versorgung fehlt es ihnen vor allem an der Bildung, die doch der Schlüssel zu einem menschenwürdigen Leben wäre.

„Das Recht ströme wie Wasser“, ruft uns heute die Aktion MISEREOR 2016 mit einem Wort des Propheten Amos zu.

Hier geht es um ein neues Bewusstsein, gerade auch für uns Christen. Papst Franziskus, dessen Wahl sich an diesem Sonntag zum dritten Mal jährt, ruft uns nimmermüde dazu auf.

Jesu Beispiel lädt uns ein, nicht den vordergründigen Zwängen und Gesetzmäßigkeiten zu glauben, die uns Politik und Wirtschaft oft vorgaukeln, sondern uns an die Seite dieser Men­schen zu stellen. Möglichkeiten dazu haben wir vor der eigenen Haustür hier in Wald und weltweit genug – heute und alle Tage.

Amen.

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