PUNK-ROCK UND BARMHERZIGER VATER – Predigt 4. Fastensonntag 2019 – C

Meine Lieben,
Punk ist nicht unbedingt mein Musikgeschmack. Harte Beats, lautes Dröhnen, oft brutale Texte, das ist nicht meins. Aber trotzdem hat mich gestern der Text eines Songs der Punk-Band „Verlorene Jungs“ echt berührt. Es heißt darin:
Noch nicht einmal geboren und trotzdem schuld, wenn’s nicht so läuft.
Deine Mutter hasst dich, wenn dein Vater sich besäuft.
Und wenn er sie verprügelt, verflucht sie dich dafür.
Seine Wut und ihr Schmerz sind dein erstes Gefühl.

Nicht den Hauch von einer Chance, du hast verloren von Anfang an.
In der Reihe der Allerletzten stehst du ganz hinten an.
Keine zärtliche Hand, keine Umarmung die dich wärmt.
Du weißt nicht wonach du suchst, denn Liebe hast du nie gelernt.
Liebe hast du nie gelernt

Auf deinem Weg durch alle Endstationen,
wandelt sich Verzweiflung in Aggressionen.
Und irgendwann schlägst du zurück;
Einmal zu oft verletzt.
Auf der Suche nach dem Glück, stirbt die Hoffnung ganz zuletzt.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Noch nicht einmal geboren und trotzdem schon verloren.
Nicht den Hauch von einer Chance, du hast verloren von Anfang an.
Denn du bist ungeliebt, bist ungeliebt.1

Die „Verlorenen Jungs“ aus dem Ruhrgebiet wissen, wovon sie da singen. Aber auch wer bei uns mit offenen Augen durch unsere Pfarrgemeinde, durch unseren Pfarrverband, durch unser Dekanat hier geht, kann das erleben, öfter, als es uns allen lieb ist. Gespräche in den Kindergärten, -horten und Schulen machen mich ebenso nachdenklich, wie der Kontakt zu Mitarbeitern unserer kirchlichen Einrichtungen der Jugendhilfe. Wir leben hier auf keiner „Insel der Seligen“. – „Du bist ungeliebt…“ Diese Erfahrung machen viele Menschen auch hier bei uns.
Hier in der Pfarrgemeinde können wir mit unserem Anteil der Caritassammlung bei materieller Not helfen. Mit dem Rest dieses Sammelgeldes unterstützen wir die Caritas, die auch bei uns hier verschiedenste Hilfsangebote hat, angefangen von Müttern mit ihren ungeborenen Kindern, bis hin zur Hilfe für alte Menschen.
Auch wenn es mir manchmal nur wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein vorkommt, ich bin doch froh darüber und auch stolz darauf, was wir als Kirche, im Kleinen wie im Großen, hier tun.
Der zerstörerischen Erfahrung des „Ungeliebt-Seins“ versuchen viele engagierte Christen und Mitarbeiter der Hilfswerke Barmherzigkeit entgegenzusetzen, wie sie das heutige Evangelium beschreibt.
Oft braucht es dafür gar nicht viel. Wenn ich bei uns hier mit Menschen Gespräch komme, spüre ich, dass es oft reicht, einfach ein offenes Ohr zu haben, zuzuhören, das Gehörte mit ihnen auszuhalten.
Bei solchen Gesprächen wurde mir im Laufe der letzten Monate eines immer klarer: Eine Kirche – eine Pfarrgemeinde – die das Vorbild des barmherzigen Vaters ernst nehmen will, muss zuallererst lernen, eine „hörende Kirche“ zu werden. Das gilt für die Priester und die Hauptamtlichen ebenso, wie für die alle Gremien, Gruppen und Gläubigen. Wie schnell starten wir große Aktionen, planen alles Mögliche – und wundern uns dann, wenn wir damit immer nur die gleichen Menschen erreichen.

Meine Lieben,
der barmherzige Vater im Evangelium tut all das nicht. Er ist einfach nur da, mit weit ausgebreiteten Armen. Er hört dem Verlorenen zu, nimmt ihn in die Arme, schenkt ihm Geborgenheit.
Ich will mich in den nächsten Jahren mit Euch alle hier auf den Weg machen, damit wir hier noch mehr zu einer „hörenden Kirche für die Menschen“ werden. Die Verantwortlichen im Bistum haben mir ihre Unterstützung für dieses Projekt zugesagt. Heute Vormittag hatte ich ein erstes Gespräch darüber mit Prof. Paul Michael Zulehner aus Wien, einem der fundiertesten Pastoraltheologen unserer Zeit. Er würde uns bei diesem Weg unterstützen, der sicher kein einfacher wird. Er würde uns helfen, zu lernen, wie wir ganz neu auf die ganz unterschiedlichen Menschen in unseren vier Pfarreien hören können, – gerade auch auf jene, die zu uns gehören, aber die wir kaum wahrnehmen, weil sie in unseren Gottesdiensten und bei unseren Veranstaltungen nicht vorkommen. Weil sie sich – vielleicht auch von uns als Pfarrgemeinde – „ungeliebt“ fühlen.
Damit ich selber etwas mehr Zeit für diesen Weg in den nächsten Jahren habe, nehme ich das Angebot des Bistums an, ab Herbst die komplette Verwaltungsverantwortung an die neuen Verwaltungsbüros zu übergeben.
Ich lade alle Gremien, Gruppen und einzelnen Christen ein, sich nach und nach auf diesem Weg in den nächsten Jahren zu beteiligen. Im Herbst, oder spätestens im Frühjahr, kann eine große Klausur aller Pfarrgemeinderäte und Kirchenverwaltungen den Anfang dieses Weges markieren.
Es ist wohl kein schneller und kein einfacher Weg. Aber es ist ein Weg, der sich lohnt. Ein Weg hin zu den Menschen. DER WEG, auf den der barmherzige Vater uns als Pfarrgemeinde heute führen will.

Amen.

1Song von „Verlorene Jungs“ in: http://www.magistrix.de/lyrics/Verlorene%20Jungs/Ungeliebt-62131.html

(Text: Witti/Bild: Limmer)

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