was feiern wir denn heute? Diese Frage erscheint unsinnig angesichts der Häuser, Straßen und Kirchen, die im festlichen Weihnachtsglanz erstrahlen. Aber gerade angesichts dieses festlichen Glanzes wird das Eigentliche, das unscheinbare Zentrum dieses Festes, oft nur noch zur romantisch verklärten Nebensache.
Was feiern wir heute? Eine Pressemeldung dieser Tage gibt mir zu da zu denken: Der Wormser Stadtverwaltung lag die Anfrage der dortigen Luthergemeinde vor, die auf dem Weihnachtsmarkt ein zeitgemäßes Krippenspiel aufführen wollte. Ein Krippenspiel, in dem daran erinnert wird, dass die Geschichte von der Geburt Jesu eine Geschichte der Obdachlosigkeit und der Flucht unter Lebensgefahr nach Ägypten ist. Dass es eine Geschichte ist, die auch heute spielen könnte, in einer Zeit, in der Menschen kein Dach über dem Kopf haben und ihr Leben aufs Spiel setzen bei der Flucht über das Mittelmeer in Schiffen, die den Namen nicht verdient haben. Die Wormser Stadtverwaltung schickte prompt eine Absage mit der Begründung, man störe damit die besinnliche Stimmung, die auf dem Weihnachtsmarkt herrsche und außerdem passe die Aktion nicht ins Konzept. Das Mainzer Verwaltungsgericht bestätigte die Absage mit dem Hinweis, dass es nicht gegen das Krippenspiel generell gehe, sondern gegen den konkreten Ort. „Die Weihnachtsmarktbesucher haben einen Anspruch darauf, nicht wie sonst im Alltagsleben von den unterschiedlichsten Meinungen und Interessen anderer … behelligt zu werden, sondern ungestört das Treiben auf dem Weihnachtsmarkt genießen zu können…“
Eine „bemerkenswerte“ Argumentation die mir meine anfängliche Frage geradezu aufdrängt: Was feiern wir denn heute?
Wenn ich das Evangelium ernst nehme, wenn das Kind in der Krippe für mich nicht nur alle Jahre wieder frommer Kitsch ist, dann ist Weihnachten mehr. Jesus kam nicht zur Welt, damit „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrsche.
Wenn wir wirklich glauben, dass Gott Mensch geworden ist, im Kind zweier Leute, für die in der Herberge der gutbürgerlichen Gesellschaft kein Platz war, dann muss das Folgen haben in meinem Denken und Reden, in meinem ganzen Leben.
Wenn ich an die Menschwerdung Gottes wirklich glaube, dann schaut mich dieser Mensch gewordene Gott eben nicht zuerst im prächtig geschnitzten und kunstvoll bemalten Christkind in der Krippe, sondern aus den Augen all derer an, für die in unserer „Herberge“ heute auch kein Platz ist.
Hier in Deutschland haben wir gut 2000 Minderjährige, die nicht nur zu Weihnachten auf der Straße leben. Unerträgliche Situationen in den Familien oder Heimen haben sie auf die Straße getrieben. In gewissen Ecken unserer Großstädte sieht man sie herumlungern. Viel lieber aber übersieht man sie. In der Politik wurden sie bisher meist nur als „Probleme“ bezeichnet und behandelt. Was mögen sie sich denken, was mögen sie fühlen, wenn wir hier Weihnachten – Menschwerdung – feiern?
Was ist mit den vielen, die Terror und Gewalt, tägliche Todesangst und lähmende Perspektivlosigkeit hinter sich lassen, die sich – oft Hals über Kopf – auf die Flucht begeben, die in den Händen zwielichtiger Schlepper landen, die überfüllte Nussschalen besteigen, die nicht hochseetauglich sind und eine lebensgefährliche Überfahrt in eine ungewisse Zukunft wagen, weil sie genau wissen, dass wir alle in ihren Heimatländern nichts zum Besseren wenden werden, solange wir nur billige Rohstoffe und bequeme exotische Urlaubsziele haben?
Sind sie uns nur ähnlich unbequem, wie sie es jener Stadtverwaltung im alternativen Weihnachtsspiel waren, oder sehen wir sie, wenn wir heute hier Weihnachten – Menschwerdung – feiern?
Was ist, wenn in Dresden – einer Stadt, in der gerade einmal rund 4 % der Bevölkerung Menschen mit Migrationshintergrund sind, an diesem Montag tausende Weihnachtslieder grölend auf die Straße gehen und Parolen eingetrichtert bekommen, die juristisch den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen? Was ist, wenn an der Spitze dieser Bewegung ein mehrfach verurteilter Krimineller steht, der nichts anderes als Hass in die Mitte der Gesellschaft säen will? Wo ist da mein Platz als Christ, wenn ich heute Weihnachten – Menschwerdung – feiere?
Ich bin stolz, mich in diesen Tagen und angesichts all dieser Erfahrungen „Christ“ nennen zu dürfen. Die deutschen Bischöfe, allen voran der Bamberger Erzbischof Ludwig schick, haben hier Mut bewiesen und klar gesagt, dass niemand, der sich „Christ“ nennt, bei diesen Hassaufmärschen mitmachen kann.
Ich bin stolz zu erleben, wie sich Christen – auch hier in unserem Pfarrverband – um Flüchtlinge annehmen.
Ich bin stolz, wenn ich erleben darf, wie sich Menschen in unseren Pfarrgemeinden in der Nachbarschaft und darüber hinaus füreinander einsetzen, Nöte sehen, statt Augen zu verschließen und für andere da sind.
Ich bin stolz, dass die großen Hilfswerke der Kirchen, die wir gerade auch mit unseren weihnachtlichen Gaben unterstützen, sowohl für die Gestrandeten und Vergessenen in unserem Lande, als auch in vielen mutigen Hilfsprojekten in den Krisenregionen der Welt tatkräftig und menschlich da sind.
Meine Lieben,
oft könnte ich mutlos werden und Angst bekommen, wenn ich die täglichen Nachrichten nicht nur an mir vorbeiziehen, sondern sie in mein Herz lasse. Oft scheint so viel Dunkelheit in der Welt und die Hoffnung auf ein wenig Licht nur eine vage Sehnsucht zu sein. In solchen Stunden brauche ich, braucht diese Welt, Menschen, die es machen wie Gott; Menschen, die die Menschwerdung wagen!
Ich wünsche Ihnen allen gesegnete, gnadenreiche Weihnachten und die Kraft und den Mut des menschgewordenen Gottes!
Amen.
(Text/Bilder: Witti)