Stephanus und der Weihnachtsesel – Predigt zum 2. Weihnachtsfeiertag

Stephanusals sie ihr geschrei erhoben hielten sie sich die ohren zu

als sie den einen zur stadt hinaustrieben hielten sie wie ein mann zusammen

als sie die ersten steine warfen legten sie die weißen kleider ab

als sie ihn trafen schlossen sie die augen

er öffnete die augen weit und sah den himmel offen

auch für sie

Meine Lieben,

es ist dieser „offene Himmel“, der für mich heute das verbindet, was auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen will. Die weihnachtliche Festfreude und der fundamentalistische Mord an Stephanus, sie würden nicht zusammengehen, wenn nicht in beidem er Himmel offenstehen würde.

In vielen unserer Advents- und Weihnachtslieder ist ja vom Wunsch nach diesem „offenen Himmel“ die Rede:

„Denn verschlossen war das Tor, bis der Heiland trat hervor“, haben wir in den letzten Wochen oft gesungen. Und in diesen weihnachtlichen Tagen heißt es immer wieder: „Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis. Der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis“

Einmal steht der Himmel offen über dem elenden, unhygienischen Stall, der so gar nicht für die Geburt eines Kindes geeignet ist. Er steht offen über denen, für die „kein Platz in der Herberge“ war, die keiner haben wollte. Vielleicht wird dieses Kind, das die Engel göttlich nennen, deshalb später auch der Heiland der Habenichtse, der Gott derer, die sonst von niemandem mehr etwas zu erhoffen haben. Ein Gott, den wir vielleicht deshalb so gern in Gold und Silber kleiden, weil wir ihn ohnehin bis heute noch nicht wirklich verstehen, denn er ist der Gott der Außenseiter, der Randfiguren, derer, sie sonst niemand haben will.

Ein zweites Mal steht heute der Himmel offen über Stephanus. Er hat diesen Gott den Menschen seiner Zeit, den Frommen, den Betern, verkündet. Er hat zu ihnen allen von diesem Gott gesprochen, der so ganz anders ist, als sie in sich vorgestellt haben, als sie ihn sich längst bequem zurechtgelegt hatten. Aber sie wollten keinen Gott, der mit Armut und Menschlichkeit provoziert. Sie wollten wohl lieber einen glorreichen Herrscher, einen mächtigen König, einen, der einen starken Gottesstaat nach ihren Wünschen aufrichten würden.

Das aber war nicht der Gott, den Stephanus verkündet hat. Das ist nicht der Gott, der im Elend des Stalles Mensch geworden ist.

Für diesen kindlichen, armseligen Gott war kein Platz in der Herberge. Für Stephanus, seinen Verkünder, war kein Platz unter den Frommen seiner Tage, unter denen, die meinten ganz genau zu wissen, wie Gott zu sein hat. Dieser Jesus musste einst weg, mit aller Gewalt – und ebenso erging es Stephanus – und beide ließen sich das einfach gefallen.

Meine Lieben,

man kann Gewalt mit Gewalt vergelten, aber das ist niemals der Weg Gottes. Denn das wäre nur ein Weg, um die Gewalt endlos zu vermehren. Man kann ebenso wenig Hass mit Hass vertreiben, wie sich Dunkelheit mit Dunkelheit vertreiben lässt.

Dunkelheit lässt sich nur mit Licht vertreiben, Hass nur mit Liebe. So unbegreiflich uns das bis in die heutige Tagespolitik hinein erscheinen mag, es ist der einzige Weg, durch den ich auch heute noch den Himmel offen sehen kann.

Mancher mag mich für einen Esel halten, wenn ich in der heutigen Welt und Zeit so weltfremd daherrede. Aber hat nicht auch gerade deshalb der Esel ebenso seinen Platz in der Krippe, wie Stephanus seinen Platz unmittelbar nach dem Weihnachtsfest hat? Mir hilft dieser Esel heute sogar, Stephanus zu verstehen, denn…

Er hat einen eigenen Willen, trägt anderen die Lasten, ist ausdauernd und genügsam und bekommt dafür keinen Orden, sondern wird „Esel“ genannt.

Vielleicht ist er deshalb in der Krippe gelandet: Nicht weil er dumm ist, sondern ausdauernd; nicht weil er störrisch ist, sondern willensstark; nicht weil er nur zwei Laute schreit, sondern weil er vieles auf sich nimmt.

Wer beim Jesuskind ausharren will, der gibt nicht den eigenen Willen ab, sondern erkennt Gottes gnädigen Willen an; der nimmt sein eigenes Kreuz an, weil Jesus selbst die Last der Welt trägt; der braucht Ausdauer, weil es nicht um den Augenblick, sondern um die Ewigkeit geht.

Ein Esel zu sein ist zu Weihnachten kein Schimpfwort, sondern eine Auszeichnung.

Amen.

(Text/Bild: Witti)

 

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