„Sterbebegleitung statt Sterbehilfe“ – Predigt 32. Sonntag im Jahreskreis

0006Meine Lieben,

von einer „Sternstunde des Parlamentarismus“ sprachen nicht nur die Vertreter der großen Kirchen am vergangenen Freitag. Ganz ohne den sonst üblichen Fraktionszwang wurde im Deutschen Bundestag sehr intensiv über das Thema der „aktiven Sterbehilfe“ diskutiert und schließlich auch entschieden. Die Beiträge im Für und Wider waren allesamt hochkarätig und verdienen Achtung. Erstaunlich war für mich auch das klare Ergebnis: Gewerbsmäßige aktive Sterbehilfe ist in der Bundesrepublik Deutschland verboten. Vereine zur Sterbehilfe, die sich in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sehen, bereiten natürlich schon juristische Klagen vor.

Aber worum geht es eigentlich?

„Ich will über mein Ende frei bestimmen…“, so sagen es die einen. „Keiner kann und darf mir das verwehren!“ – Das stimmt und das soll auch so sein. Und auch Ärzte werden hier weiter Freiraume für ihr begleitendes Handeln haben. Aber ich sehe eben auch die jahrelange Erfahrung der Psychologie und der klinischen Seelsorge und auch viele eigene Begegnungen in den vergangenen 15 Dienstjahren.

Menschen, die mit einer schlimmen Diagnose konfrontiert werden, brauchen Zeit diese Nachricht zu verarbeiten. Meist gibt es dabei auch eine Phase der Niedergeschlagenheit, in der ein Patient vom Gefühl der Sinnlosigkeit übermannt wird und sich womöglich sogar nach dem Tod sehnt. Jeder, der Menschen hier schon begleitet hat, weiß, dass das in diesem Moment keine freie Entscheidung ist, sondern Ausdruck einer – meist vorübergehenden – Depression. Hier braucht ein Mensch Hilfe und Begleitung. Der assistierte Suizid wäre hier lediglich die wirtschaftlich billigere, aber in meinen Augen auch unmenschlichere und unverantwortliche Lösung.

Wenn ein Gesunder über dieses Thema nachdenkt, bestimmen meist Ängste dieses Denken. Im Wesentlichen erkenne ich hier zwei Grundformen der Angst, die dann den Tod auf Verlangen als vermeintliche Lösung dieser Ängste erscheinen lassen: die Angst vor dem Schmerz und die Angst vor der Einsamkeit. Beides wurde schon tags zuvor vom Deutschen Bundestag intensiv behandelt. Endlich hat man nämlich am Donnerstag die flächendeckende palliativmedizinische Versorgung für Deutschland beschlossen. Ich erlebe immer wieder Menschen, mit schwersten Diagnosen die heute weitestgehend schmerzfrei bleiben, die oft fast bis zum Ende klar denken und kommunizieren können.

Ich habe auch Menschen erlebt, die diesen letzten Weg nicht auf der Palliativstation eines Krankenhauses, sondern daheim, in der gewohnten Umgebung, im Kreis der Familie gehen wollten. Auch das war seit einiger Zeit durch das unglaubliche Engagement von Vereinen zur Palliativversorgung möglich. Dabei wurden auch die Angehörigen so gut betreut, dass viele im Nachhinein zwar zugegeben haben, dass sie sich das vorher nie zugetraut hätten, dass sie diese intensive Zeit aber auch um nichts in der Welt missen möchten. Am wichtigsten ist es mir persönlich aber, dass ich heute so gut wie immer Menschen erlebe, die – in der Klinik oder daheim – schmerzfrei und menschlich umsorgt, diesen letzten Weg antreten können.

Meine Lieben,

gerade darin liegt aber auch eine große Herausforderung für uns als Christen, als Pfarrgemeinde vor Ort. Da reichen keine noch so gescheiten theoretischen Diskussionen. Da stellt sich die Frage: Welchen Platz haben todkranke Menschen und ihre Angehörigen hier mitten unter uns? Nehmen wir sie wahr? Bieten wir ihnen nachbarschaftliche Hilfe an? Besuchen wir sie, auch wenn uns der erste Schritt hier oft schwerfallen mag?

Wir im Seelsorgeteam versuchen das unsere, aber wir brauchen Euer aller Hilfe, damit Schwerkranke, aber auch deren Angehörige, nicht vereinsamen. Möglichkeiten und Fähigkeiten hat jede und jeder von uns hier. Es beginnt schon ganz einfach mit offenen Augen und Ohren. Es ist eine Frage, der gelebten Barmherzigkeit für jede und jeden von uns hier. Es ist somit aber auch eine Frage nach der Glaubwürdigkeit unseres Christseins.

Die arme Witwe im heutigen Evangelium konnte alles Äußere loslassen, konnte sich – in einer für uns geradezu unvorstellbaren Art und Weise – mit ihrer ganzen Existenz fallen lassen, weil sie sich von etwas größerem, von Gott selber, getragen wusste. Ich kann es nur jedem Todkranken und Sterbenden wünschen, im entscheidenden Moment so sehr vertrauen zu können. Ich kann aber auch jeder und jedem von uns hier nur wünschen, einmal die Erfahrung zu machen, bei einem Menschen in schweren Stunden zu bleiben, um einfach durch mein Dasein, ein Stück dieses Vertrauens zu schenken.

Das ist wirkliche Menschlichkeit. Das ist spürbare Barmherzigkeit mitten im Leben. Das ist Jesu Auftrag – an Dich und an mich.

Amen.

Pfarrer Michael Witti

(Foto: Limmer)

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