„Erntedank nachdenklich…“ – Predigt Pfr. Michael Witti

_DSC0932Meine Lieben,

jeder Mensch braucht vielleicht mindestens einmal im Leben einen Pfarrer, einen Polizisten oder einen Rechtsanwalt. Aber – Hand aufs Herz – wer denkt schon einmal bewusst daran, dass wir jeden Tag den Bauern brauchen, ohne dessen Ernten und Erträge wir alle nicht leben könnten?

Es sind viele Eindrücke und manche Sorgen, die mir in den Sinn kommen, wenn wir heute hier mit den reichen Früchten aus Feld und Garten das Erntedankfest feiern.

Wie kein anderes Fest im Laufe des Jahres zeigt mir das Erntedankfest, wie alles auf dieser Welt vielfältig zusammenhängt, wie lokales Handeln auch globale Auswirkungen haben kann und umgekehrt.

Als erstes kommen mir beim Blick auf diese Erntegaben unsere Bauern in den Sinn. Wieder einmal wurde heuer – nicht nur bei der Milch – von den Konzernen an der Preisschraube gedreht. Wieder einmal mussten sich heuer alteingesessene Familienbetriebe fragen, ob sie die Höfe weiterbewirtschaften können, angesichts dessen, war ihr hochwertiges Produkt heute in unserer Konsumgesellschaft wert ist. „Geiz“ ist eben nicht für alle „geil“.

Als es zu Protesten der Bauernschaft kam, haben mich die Forderungen mancher Verbände – gelinde gesagt – schwer verblüfft. Da wurde nicht gefordert, dass hochwertige Produkte auch einen guten Preis haben dürfen, der nicht nur die Konzerne, sondern eben auch die produzierenden Bauern leben lässt. Eine der zentralen Forderungen an die Politik, an Europa, lautete: Neue Märkte müssen erschlossen werden.

Konkret heißt das nichts anderes als: Hierzulande sollen Konzerne weiterhin legal die Preise drücken können und dafür soll dann die mögliche Überproduktion weltweit in Regionen verkauft werden, die bislang noch nicht mit deutscher Milch und anderen landwirtschaftlichen Produkten beglückt wurden. Diese Exporte sollen dann über großzügige EU-Subventionen – die wir alle mit unseren Steuergeldern bezahlen – weltweit und billig die Märkte überschwemmen. Über die Folgen dieses Denkens wurde kein Wort verloren, obwohl wir es momentan europaweit dramatisch erleben.

Hochsubventionierte EU-Exporte haben weite Teile der afrikanischen Bauern in den sicheren Ruin getrieben. Sogar noch Schlachtabfälle verramschen wir ebenso hochsubventioniert dorthin, wie giftigen Elektroschrott. Tausenden Kleinbauern hat Europa durch diese „Erschließung neuer Märkte“ bereits um ihre Existenz gebracht. Wen wundert es, dass diese Menschen, die nicht zuletzt Europa um ihre Zukunft betrogen hat, nun – gemeinsam mit den vielen Kriegsflüchtlingen – vor unserer Haustür stehen? Nicht zuletzt unsere Landwirtschaftspolitik ist schuld an ihrem Elend…

ERNTEDANK ist für mich heuer auch ein problematisches Fest. Ich kann und will es nicht verstehen, warum wir im Sumpf von Bürokratie, Lobbyarbeit und Korruption weltweit nicht die Kraft haben, das Naheliegende zu tun, wie es Papst Franziskus immer wieder gefordert hat:

Gerechte Löhne für gerechte Arbeit; regionale Kreisläufe statt weltweiter Finanzströme, die nur immer noch mehr Elend produzieren; ein Verbot auf Spekulationen mit Nahrungsmitteln, die Preise hochtreiben und gleichzeitig die Augen vor Hungertoten verschließen.

Der reiche Erntealtar erinnert mich aber auch an die großen Flüchtlingslager in Jordanien und anderen Nachbarstaaten Syriens. Seit Jahren erfüllen die westlichen Staaten ihre Versprechen nicht, die Menschen dort mit Nahrung zu versorgen. Zuletzt gab es kaum noch sauberes Trinkwasser. Von den versprochenen Schulen will man gar nicht mehr reden. Wen wundert es, dass die Menschen, die eigentlich nahe ihrer Heimat Zuflucht gesucht haben und sobald es ginge dorthin wieder zurückkehren wollten, nun die gefährliche Flucht nach Europa auf sich nehmen, wenn alle Hilfsversprechen einfach nicht erfüllt wurden? Das derzeitige Elend an unseren Grenzen ist zum großen Teil hausgemacht.

Meine Lieben,

so wunderschön er auch heuer wieder ist, so sehr macht mich doch unser reicher Erntedankaltar nachdenklich, sowohl wenn ich an viele Bauern hier bei uns denke, als auch wenn ich die Sorgen kleiner Landwirte und um die Zukunft betrogener Menschen weltweit betrachte. Es gibt hier keine schnellen und einfachen Lösungen. Wer die anbietet, gießt meist nur das Öl des Hasses ins Feuer der Weltgeschichte.

Daher möchte ich heute einfach nur beten:

Manchmal fehlen mir die Worte, um die Sorgen und Ängste, die katastrophalen und apokalyptischen Stimmungen, den Groll und die Wut, die Ohnmacht und das Verzagen aus meinem Herzen zu schütten, einfach vor Dich hin, Gott. Dann bin ich einfach nur da, stumm, gleichzeitig Dir nah und fern, ungewiss, ob wir einander Gehör verschaffen können, weil ich nicht fertig bin und werde mit dem Widerspruch zwischen Dir und dem, was wir Menschen aus Deiner Schöpfung, aus uns selbst und aus Dir gemacht haben.1

Amen.

_DSC0949(Fotos: Limmer 2015)

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