„Volkstrauertag“ – Predigt 33. Sonntag im Jahreskreis (Witti)

_DSC0211Als der Abend übers Schlachtfeld wehte waren die Feinde geschlagen. Klingend die Telegrafendrähte Haben die Kunde hinausgetragen.

Da schwoll am einen Ende der Welt ein Heulen, das am Himmelsgewölbe zerschellt‘ ein Schrei, der aus rasenden Mündern quoll und wahnsinnstrunken zum Himmel schwoll. Tausend Lippen wurden vom Fluchen blaß, tausend Hände ballten sich wild im Hass.

Und am andern Ende der Welt ein jauchzen am Himmelsgewölbe zerschellt‘ ein Jubeln, ein Toben, ein Rasen der Lust ein freies Aufatmen und Recken der Brust. Tausend Lippen wühlten im alten Gebet tausend Hände falteten fromm sich und stet.

In der Nacht noch spät Sangen die Telegrafendräht‘ Von den Toten, die auf dem Schlachtfeld geblieben …

Siehe, da ward es still bei Freunden und Feinden. Nur die Mütter weinten Hüben – und drüben.

Meine Lieben,

„Moderne Legende“ nannte Bert Brecht diese Zeilen schon 1914, kurz nach Ausbruch des ersten Weltenbrandes. Und er zeigt auf, was als einziges immer bleibt, egal, ob man sich am Ende Sieger oder Verlierer nennen darf: Tod, Trauer, Verlust… Krieg kennt immer nur Verlierer.

Die gleiche Erfahrung in weltweit noch unheilvollerem Ausmaß machte die Generation des Zweiten Weltkrieges und auch all jenen, die bis heute als Soldatinnen und Soldaten an den Fronten stehen, fällt es oft schwer, über den Sinn ihres Dienstes zu sprechen, angesichts der Opfer, die von ihnen – und nicht von den Entscheidungsträgern in den edlen Ledersesseln – gefordert werden. Krieg kennt auf allen Seiten immer nur Verlierer.

Sicherlich sind die Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten heute, ein wichtiger Teil der Friedenspolitik. Lange hab ich mich vor einiger Zeit mit einem der Kommandeure in Afghanistan unterhalten. Ich verstehe auch, dass man aktuell wieder mehr Soldaten dorthin schicken will, um halbwegs zu sichern, was an Inseln der Normalität in diesem seit Jahrzehnten geschundenen Land errichtet werden konnte. Dennoch: Was auf allen Seiten immer bleibt, sind die Verlierer, die Opfer, die nicht nur in Särgen in die Heimat zurückkommen, sondern auch mit dem ganz normalen Truppentransport.

Im Ersten Weltkrieg konnte man noch wenig anfangen, wenn Soldaten nicht nur körperlich, sondern auch seelisch versehrt waren. Das schier unerträgliche Schütteln, das viele quälte, wurde auf Film gebannt. Dass es eine nervliche Folge des erlebten Dauerfeuers war, dass die seelische Versehrtheit oft noch brutaler sein kann, als die körperliche, nahm man damals kaum wahr.

Nicht viel anders war es nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Männer, die oft schwer traumatisiert heim kamen, gab es keine psychologische Hilfe. Aufbau hieß die Parole. Manche wurden zu menschlichen Wracks, andere erfahrene Gewalt an Frau und Kinder weiter, wieder andere wurden stumm, konnten nie über das sprechen, was eine wahnsinnige und verbrecherische Politik ihnen zugemutet hat. Die Frage nach der Schuld in all ihren Facetten wurde ausgeblendet.

Ich habe Menschen erlebt, aus denen es erst angesichts des Todes herausbrach. Menschen, die sich ein Leben lang nichts anmerken ließen und dennoch verkrüppelt waren in ihrer Seele.

Meine Lieben,

ähnliches erlebe ich nun wieder ganz aktuell: Immer wieder komme ich mit Flüchtlingen unserer Tage ins Gespräch. Es dauert auch hier, bis einzelne so viel Vertrauen gefasst haben, dass sie erzählen können. Wieder ist es die Geißen von Krieg und Gewalt in Syrien, Afghanistan, Eritrea und den vielen anderen Krisenregionen unserer Erde, an die oft auch Deutschland direkt oder indirekt gewinnbringend Waffen liefert. Ich erlebe ähnliche Traumata, wie bei Kriegsveteranen meiner Großvätergeneration. Ich spüre die letztlich nicht nachfühlbare Sehnsucht nach ein bisschen Normalität ohne Angst.

Wenn wir den heutigen Volkstrauertag ernst nehmen, wenn er nicht nur ein Relikt aus der Vergangenheit sein soll, das man aus nostalgischen Gründen heraus noch weiterhin pflegt, dann müssen wir alle hier und heute Handelnde werden – Handelnde im Sinne Jesu. Nach all der Not dieser Welt, nach aller Dunkelheit und Gewalt wird er Gericht halten, so wie es das heutige endzeitliche Evangelium andeutet.

ER, der Friedensfürst, wird auch unsere Generation dann fragen, was wir getan und was wir nicht getan haben, denn – so haben wir gehört:

Auch wenn Himmel und Erde vergehen, seine Worte werden nicht vergehen!

Amen.

(Text: Michael Witti/Foto: Limmer 2014)

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