Wir brauchen Menschen, denen andere nicht egal sind

 

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis 2014 – Lesejahr A – Pfarre Kaltenbrunn im Kaunertal (Tirol) – Pfr. Michael Witti

JugendSchwestern und Brüder,

soll ich wirklich eine Überwachungskamera am Pfarrhaus installieren? Die Frage beschäftigt mich in letzter Zeit immer wieder. In einer meiner vier Pfarreien kommt es nachts immer wieder zu mutwilligen Beschädigungen. Mal wird im nahen Schulgarten randaliert, mal wird eine Bank vor dem Pfarrholz zu Kleinholz verarbeitet. Auf frischer Tat wurde nie jemand ertappt, aber dennoch weiß man meist, wer dahinter steckt. Es sind junge Leute, die oft den ganzen Tag irgendwo herumhängen, die mit sich und ihrem Leben scheinbar nichts anzufangen wissen, die auch außerhalb ihrer Clique nirgends wirklich dazugehören. Schule und Job sind auch keine großen Themen für sie. Wenn dann noch Alkohol dazu kommt, geht es rund.

Ich frage mich immer wieder: Wie kommen junge Menschen dazu, immer wieder so auszuticken, einfach zu randalieren? Kein Kind wird von Natur aus böse geboren. Schon zu meiner Zeit als Jugendseelsorger habe ich da manche Gespräche geführt und lange über mögliche Ursachen nachgedacht. Ich glaube, wenn es keine Familie, keine Gruppen innerhalb der Gemeinschaft gibt, die jungen Menschen von Kindesbeinen an Halt, Geborgenheit und Orientierung geben, kann es rasch gefährlich werden. Immer wieder erlebe ich in den vier kirchlichen Kindergärten, für die ich zuständig bin, wie Kinder von klein auf, einfach so nebenbei mitlaufen. Ich erlebe mit den Erzieherinnen Kinder, für die daheim scheinbar niemand Zeit hat, die dankbar für jedes kleine Wort sind, oder wenn sie einfach einmal von unserem Personal in den Arm genommen werden. Das soll jetzt keine pauschale Entschuldigung für jedes spätere Mißverhalten sein. Aber es gibt Kinder – auch in unseren Ländern – die von Anfang an chancenlos sind. Randale, Chaos, Zerstörung in Suff und blinder Wut sind dann im Jugendalter oft die Folge, sind brutale Hilfeschreie von Jugendlichen ohne Perspektive. Wenn sie es je gelernt hätten, sich anders auszudrücken, dann könnten viele dieser „Problem-Jugendlichen“ heute wohl genauso reden, wie die kanaanäische Frau im Evangelium:

„Herr, hilf mir! …selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“

Wie vielen v.a. auch jungen Menschen, in unseren Gemeinden, in Europa, in aller Welt, geht es auch heute noch schlechter als jenen Hunden? Für wie viele ist niemand da? Wie viele kommen unter die Räder, weil sie nie eine Chance bekommen haben, weil man lieber mit zig Milliarden Finanzgeschäfte stützt, die wenige unvorstellbar reich gemacht haben, während das gleiche System Unzählige um den Lohn ihrer Arbeit und um die Zukunft betrügt?

„Herr, hilf mir! …selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ Jesus hat sich jener Frau erbarmt, hat ihrem Kind eine Zukunft eröffnet. Wer aber erbarmt sich heute?

 

Meine Lieben,

hier sind wir alle gefordert – und das nicht nur, wenn bei politischen Wahlen unsere Stimme wieder einmal gefragt und umworben ist. Wir brauchen – heute vielleicht nötiger denn je – Menschen, denen die andern nicht egal sind; Menschen, die die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschließen; Christen, die gerade auch im Ehrenamt zeigen, was es heißt „Mensch“ zu sein.

Hier haben gerade in unseren Dörfern die vielen Gruppen und Vereine eine ungeheuer wichtige Aufgabe. Ganz egal, ob in Dorf­gemeinschaften, bei den Mi­ni­stranten oder in einer Landjugend, beim Sportverein, bei der Feuerwehr, bei den Schützen, bei den Musikern oder wo auch immer, überall dort, wo gerade auch junge Menschen Halt und Selbstwert finden, wo sie sich angenommen wissen, wo sie auch einmal Hilfe erfahren, wenn sie es brauchen, überall dort handeln Menschen im Sinne Jesu!

Es war für mich am Feiertag hier bei Euch wunderschön zu erleben, wie sowohl beim Gottesdienst und der Prozession, als auch beim tollen Musikfest am Nachmittag alle Generationen hier aus dem Tal dabei waren, wie in großer und echter gegenseitiger Wertschätzung miteinander gefeiert wurde. In den Vereinen und Gruppen können junge Menschen hier bei Euch und überall auf der Welt Wurzeln schlagen. Dort erfahren sie den Wert der Heimat, spüren menschliche Geborgenheit und echtes Getragensein.

„Herr, hilf mir! …selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“

Jesus hatte Erbarmen mit jener Frau. Unsere Welt braucht heute Menschen die sich erbarmen, braucht Gruppen, die offen sind für andere, braucht Vereine und dörfliche Gemeinschaften die Heimat schenken und Wurzeln schlagen lassen. Der Franziskaner Anton Rotzetter hat die Sehnsucht so vieler Menschen jeden Alters in einem Gedicht einmal so ausgedrückt:

Ich suche Geborgenheit

Hände, die sich halten

Deine Hand

 

Ich suche Wärme

Menschen, die sich nahe sind

Deine Nähe

 

Ich suche Liebe

Herzen, die sich finden

Dein Herz

 

Ich suche ein Zuhause

Junge Menschen, die sich bergen

Deine Gemeinschaft

 

Hilf mir suchen

und finden

(Foto: Pfarrbriefservice.de)

 

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Ein Kommentar

  1. Maximilian Kalleder

    Okay! Super! Schön! Und das Facit….?
    „Kennst du einen Menschen in deiner Nachbarschaft? …in deiner Schulklasse? ….an deinem Arbeitsplatz? einen Menschen, bei dem du mithelfen kannst ihn „aufzufangen“? … den du durch aktives Anreden helfen oder eine Chance geben kannst, auf einen anderen Weg zu kommen? ….“
    …. Worte sind schön, aber Hühner legen Eier!

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