Den anderen suchen… Predigt 24. Sonntag im Jahreskreis 2016 – C

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Meine Lieben,

das heutige Evangelium lässt viele Erinnerungen in mir hochkommen. Mir fällt da ein zutiefst liebenswerter Mann ein, dem ich in meinen ersten Dienstjahren begegnet bin. Ich war im Krankenhaus unterwegs und hab dort die Menschen aus unserem Pfarrverband besucht. Die meisten freuten sich, wenn ich vorbeigeschaut habe. Krankengeschichten wurden besprochen, Lebensgeschichten sind aufgeblitzt. Einer aber steht mir noch sehr lebendig vor Augen .Ich seh mich heute noch, wie ich an die Tür klopfe und eintrete. Es war ein großes Krankenhauszimmer mit vier Betten darin, die alle belegt waren. Ich ging auf den einen Patienten zu, den ich vom Gesicht her kannte. Er war oft bei den Sonntagsgottesdiensten zu sehen. Meist stand er ganz hinten an der Wand. Ich begrüßte ihn und begann ein kleines Gespräch. Er erzählte mir, warum er im Krankenhaus war und wie es ihm ging. Sehr gesprächig war er nicht, aber das musste ja auch nicht sein. Ich hab mich von ihm verabschiedet und ging weiter meines Weges. Gut zwei Wochen später klingelte es an meiner Tür. Eben jener Mann, den ich als nicht so sehr gesprächigen Patienten im Krankenhaus besucht hatte, stand vor meiner Tür. Ich bat ihn herein und diesmal haben wir uns lange unterhalten. Ein wenig verschämt meinte er, dass er ja dort im Krankenzimmer mit den drei anderen nicht richtig mit mir reden konnte. Ich spürte, dass er etwas loswerden wollte. Schließlich nahm er sich ein Herz und erzählte mir viel von sich. Er sagte, wie überrascht er gewesen sei, dass jemand von der Kirche ausgerechnet ihn besucht hatte. Ich konnte das nicht verstehen, denn ich kannte ihn doch von den Gottesdiensten her. Doch da erzählte er mir, dass er zwar so gut wie jeden Sonntag hinten in der Kirche stehen würde, aber eigentlich längst ausgetreten sei. Er hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich. Ein früherer Pfarrer hatte ihn in sehr unschöner Weise darauf angesprochen und aus Zorn darüber sei er schon vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten. Ich war sehr gerührt über diese Lebensgeschichte. Das hätte ich nie vermutet. Er erzählte mir, dass ihn mein Besuch einerseits ganz unvorbereitet getroffen, aber eben auch unendlich gefreut hatte. Und deshalb wollte er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus eben mit mir sprechen. Er fragte mich, wie ich denn über seine gescheiterte Beziehung denken würde und ob Gott ihn nun nicht mehr lieben würde. Lange haben wir miteinander geredet. Schließlich formulierte er eine große Bitte, die ihn sichtlich beschäftigt hat: „Kann ich das nicht wieder rückgängig machen? Kann ich nicht wieder richtig zur Kirche gehören?“ Aus ganzem Herzen konnte ich ihm damals sagen, dass ich der festen Überzeugung sei, dass er im Innersten nie aufgehört hatte, als Christ zu unserer Kirche zu gehören. Was die äußeren Formalitäten anging, hab ich ihm angeboten, alles nötige in die Wege zu leiten. Er war glücklich. Herzlich hat er sich von mir verabschiedet. Ich hab die nötigen Schritte getan und wiederum zwei Wochen später war er wieder bei mir im Wohnzimmer. Wir feierten zu zweit seine Rekonziliation, seine Wiederaufnahme in die Kirche. Ich habe das heutige Evangelium vorgelesen. Als von der Freude die Rede war, die bei den Engeln Gottes über jeden herrscht, der umkehrt, strahlte er übers ganze Gesicht. Gemeinsam haben wir das Glaubensbekenntnis gebetet und im Namen des Bischofs durfte ich ihm die Wiederaufnahme in die Kirche zusagen. Vor Freude hat er mich umarmt und lange nicht mehr losgelassen. Das war ihm so wichtig, dass er mich im Anschluss zum Essen in ein Gasthaus eingeladen hatte. Seine ganze Familie war dort schon versammelt und hat auf uns gewartet. Es war eine Freude, wie ich sie nur selten erlebt habe und wie ich sie wohl nie vergessen werde.

Meine Lieben,

dem Verlorenen nachgehen, das ist im Evangelium nicht nur eine Dienstanweisung für Pfarrer und Hauptamtliche. Menschen suchen, ihnen nachgehend, wohlwollend und herzlich begegnen, das ist eine Grundhaltung für jede Christin und jeden Christen. Wenn wir uns als Pfarrgemeinde, aber auch als einzelne in unserem Alltag darum bemühen, dann könnte wir gemeinsam diese Welt verändern; dann könnte wahr werden, wozu ein geistliches Lied Dich und mich einladen will. Es heißt:

Wer bringt dem Menschen, der blind ist, das Licht?

Wer reicht dem Menschen der Angst hat, die Hand? …

Wer deckt dem Menschen, der hungert, den Tisch?

Wer reicht dem Menschen, der Durst hat, den Krug? …

Wer gibt dem Menschen, der zweifelt, den Mut?

Wer gibt dem Menschen, der absackt, den Halt?

Wer geht den Weg, der die Mühe lohnt?

Den Weg wollen wir gehen. Die Liebe geht mit uns:

Auf dem langen und steinigen, auf dem weiten und unbequemen,

auf dem Weg, der die Mühe lohnt.

Amen.

(Foto: Limmer)

 

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