Kirche ein toter Feigenbaum? – Predigt 3. Fastensonntag (M. Witti)

JHWH,Meine Lieben,

ich erinnere mich an eine tolle Fernsehreportage, die schon vor einiger Zeit ausgestrahlt wurde. Viel konnte man da sehen von dem, was zum oft eher unbekannten Alltag eines Seelsorgers gehört, der Men­­schen an den besonderen Knotenpunkten des Lebens be­glei­tet. Mit gefiel besonders, wie der vorgestellte Seelsorger mit jungen Brautpaaren die jeweilige Hochzeitsfeier vorbereitet hat. Da gab es kein einfaches 08/15-Schema, mit dem die Leu­te abgefertigt wurden.

Das ist auch für mich ein sehr wichtiger Teil meiner seel­sorg­lichen Arbeit, die wirklich versucht, am Menschen und sei­ner Lebenswirklichkeit Maß zu nehmen. Alles das kam in die­sem Film sehr gut rüber. Eigentlich hatte die halbstündige Re­por­tage für mich nur einen Schönheitsfehler: Der vorgestellte Seelsorger arbeitet quasi „freiberuflich“. Er gehört keiner Kirche an.

Auch hier in unserer Gegend haben ähnliche „freiberufliche Anbieter“ schon in unserer Tageszeitung inseriert. Solche Anbieter werben damit, dass sie sich Zeit nehmen wollen, um Menschen etwa in der Trauer zu begleiten und ganz individuelle Trauerfeiern gestaltet „auf Wunsch auch mit christlichem Hintergrund“, wie in einer Anzeige zu lesen war.

Was mir da zu denken gibt, ist die Tatsache, dass viele ganz bewusst solche Angebote suchen, entweder weil sie schlechte Erfahrungen mit Vertretern der Kirchen gemacht haben, oder einfach weil sie es diesen al­ten Institutionen gar nicht mehr zutrauen, heutige Lebenswege noch zu verstehen und sie begleiten zu können.

„Jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Fei­genbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?“ Ich fürchte, dass ähnlich wie der Weinbergbesitzer von seinem Baum auch viele Menschen von der Kirche, von ihrer Pfarrgemeinde vor Ort sprechen. Sie würden wohl sagen: „Immer wieder habe ich meine Erfahrungen damit gemacht. Es bringt ja doch nichts. Ich bin ihnen egal. Wieso soll ich die noch länger un­terstützen und dazu gehören?“

Verstehen kann ich diese Menschen schon irgendwie und es wun­dert mich auch nicht, dass jemand, der hier niemals einen persönlichen Bezug erlebt hat, lieber zu anderen Grup­pen und Meistern läuft. Ich denke, diese Entwicklungen sind künftig die größten Herausforderungen für unsere Ge­mein­den, für alle, die haupt- und ehrenamtlich darin mitarbeiten. Denn umgekehrt zeigen viele aktuelle Studien, dass unendlich viele in unserer Gesellschaft nach Gemeinschaft und Beheimatung, nach Sinn und Tiefe suchen – allerdings meist fern unserer Kirchen. Für mich war das mit ein Grund dafür, warum ich mir einst für meine Pri­miz jene alttestamentliche Lesung ausgewählt habe, den wir auch heute gehört haben: Die Offenbarung Gottes im bren­nenden Dornbusch.

Vielleicht sollten uns wir alle als Seelsorger, als Pfarrgemeinderäte, als Mitglieder in den kirchlichen Ver­bänden und Gruppen, als engagierte Chri­stin­nen und Christen uns diese Worte neu zu Herzen neh­men. GOTT zwang Mose zu nichts, er machte ihn neugierig – und dann sprach er ihn an, nannte ihn beim Namen. Er ließ ihn spü­ren, dass es ihm um die Sehnsucht der Menschen geht­: „Ich habe das Elend meines Volkes … gesehen… Ich kenne ihr Leid … Ich bin he­rab­gestiegen, um sie“ all dem zu entreißen, um ihnen einen neu­en Anfang, neues Leben zu schenken. Und schließlich nann­te er seinen Namen: „Ich bin der »Ich-bin-da« … So sollst du zu den“ Menschen „sagen: Der »Ich-bin-da« hat mich zu euch ge­sandt.“

Meine Lieben,

„Der »Ich-bin-da« hat mich zu euch ge­sandt.“ – Mit ihm können wir die Not und Sehnsucht der Menschen von heute sehen und auf sie zugehen. WIR können Menschen spüren lassen, was SEIN Name bedeutet: „Ich bin der »Ich-bin-da«“

Dazu wird es künftig oft neue Wege und neue Formen brauchen. Mit viel Liebe und Fantasie wird diese wunderbare, aber auch große Aufgabe nicht nur uns Seelsorger gemeinsam mit den Pfarrgemeinderäten beschäftigen. Wenn Pfarrverbände immer größer werden, braucht es umso mehr die kleinen Gruppen und Kreise vor Ort. Sie geben den Menschen Heimat. Bei ihnen können sich junge und alte angenommen und gut aufgehoben fühlen. Das gilt für Kinder- und Jugendgruppen ebenso, wie für die Frauenbünde und Müttervereine, für die Marianische Männer­con­gre­ga­ti­on, die Kolpingfamilie, die Senioren und viele andere mehr.

Gerade wenn heute ein Pfarrer nicht immer vor Ort sein kann, sind diese kleinen Gruppen und Kreise unendlich wichtig und wertvoll! Sie sind die Garanten für die Zukunft unserer Gemeinden vor Ort. Wenn wir so alle gemeinsam, aber auch jeder und jede auf seine und ihre ganz persönliche Weise auf die Menschen zugehen, dann kön­nen manche, die jetzt auf die Kirche noch ähnlich re­a­gie­ren, wie der Wein­bergbesitzer auf den Feigenbaum, vielleicht doch umgestimmt werden. Wir alle, können ihnen die abschließende Botschaft des Gleichnisses im Blick auf unsere Gemeinde vermitteln:

„Lass deine Mitgliedschaft in der Kirche dieses Jahr noch stehen, – versuch es noch einmal mit ihr. Ich will ihr helfen und sie neu beleben. Vielleicht trägt sie ja doch noch Früchte – auch für dich!“

Amen.

(Foto: Witti)

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